Der Begriff Tantra ist zunehmend allgegenwärtig und wird je nach kulturellem Hintergrund und persönlicher Betrachtungsweise unterschiedlich praktiziert, verstanden und gelebt. Tantra Massage ist ein Teil von Tantra
Ursprünglich aus der indischen Kultur entwachsen geht es im Tantra hauptsächlich um eine allumfassende, bewusste Lebensweise und Lebenshaltung, in der eine Verbindung zum höchsten Bewusstsein angestrebt wird. Die spirituelle Praxis wurde und wird im indischen Raum anders gelebt als hier im Westen. In Indien praktiziert man mit Menschen, mit denen man nicht in einer Partnerschaft steht, weisses Tantra. Dies bedeutet, man lebt keinen sexuellen Austausch mit weiteren Partnern. Die sexuelle Energie wird nur mit einem Partner aufgebaut. Sexualität ist die höchste Lebens- und Liebeskraft, die uns Menschen zur Verfügung steht und wenn ein monogames Paar ganz rein und gut verbunden miteinander ist und die Ausrichtung auf das Höchste lenkt, kann ein Paar die höchste Transformation im Menschsein erleben. So sagt es das indische Tantra. Es weist darauf hin, dass wir die Energien voneinander aufnehmen und miteinander zu einer Energie verschmelzen. Vermischen wir die Energien mit weiteren Partnern, stören wir diesen heiligen Prozess der Verschmelzung hin zum Göttlichen. Aus meiner Sicht hat auch die indische Lehre Widersprüchlichkeiten, wenn man die indischen, erotischen Tempel von Khajuraho betrachtet. Meines Erachtens wird es auch in Indien verschiedene Hintergründe, Absichten und Ansichten geben, wie Tantra gelebt werden kann.
Die Verbindung von Spiritualität und Sexualität wurde erst in den 70er Jahren durch den indischen Mystiker Osho ins Leben gerufen. Er propagierte die Vorstellung, dass in der Meditation sexuelle Energie im Becken erweckt werden kann und diese in einem meditativen Zustand andere Bewusstseinsebenen ermöglichen. Er verhalf seinen Schülern*innen ihren natürlichen Ausdruck zu befreien und zerriss alle dogmatischen Lehren. Seine Vision war die Lehre, die Wahrheit hinter all den von Menschen geschaffenen Konzepten und Perspektiven und dessen Widersprüchlichkeiten zu entdecken und alle Facetten der menschlichen Erfahrung auf dieser Welt miteinander zu verbinden.
Aus Recherchen und Erfahrungsberichten von ehemaligen Schüler/innen erfuhr ich, dass es im Ashram verschiedene experimentelle Therapieformen gab, um Blockaden aller Art zu lösen und um sich von einengenden Doktrinen befreien zu können. Dynamische und stille Meditationen, wildes Tanzen, Schreien, Schütteln sowie körperliche Nähe wurde zelebriert und ausgelebt. Im Darshan sprach er über spirituelle Richtungen, belichtete unbeantwortete Themen, kommentierte spirituelle Texte und vermittelte Spiritualität auf verständliche Weise. Oshos Verständnis von Tantra wurde und wird noch immer hier im Westen massgebend von namhaften Persönlichkeiten wie zum Beispiel Margot Anand, Andreas Rothe, Allen Lowen, Diana Richardson und anderen kultiviert, beeinflusst und weiterentwickelt. Weitere Formen betreffend das Thema sexuelle Integrität und Selbstliebe lehrten und lehren Joseph Kramer und Annie Sprinkle, unabhängig von Oshos Lehre.
Was alle tantrischen Lehren im ursprünglichen Sinn auszeichnet, ist der Wunsch nach Selbsterkenntnis, nach mystischer Erfahrung, nach Befreiung des Selbst und der Wiedervereinigung mit dem göttlichen Bewusstsein. Um diese Ziele zu erreichen, vermitteln tantrische Schulen verschiedene Techniken und Methoden sowie entsprechende Werkzeuge. Diese dienen der Persönlichkeits-Entwicklung, der Selbsterkenntnis und der Selbstliebe. Die Verbindung von Spiritualität und sinnlich erlebbarer Sexualität als Übungsfeld im alltäglichen Leben wird unter dem Begriff Neo-Tantra eingeordnet.
Ich persönlich sehe Tantra als ganzheitlicher Weg für mehr Menschlichkeit, Integrität, Bewusstwerdung und Bewusstseinserweiterung. Für mich, beheimatet in der westlichen Kultur, hat Osho die klarste Definition von Tantra festgelegt. Er sagt, Tantra muss nicht durch Techniken und Methoden verstanden werden, sondern dessen Geist soll gefühlt werden. Tantra will gelebt sein, als freier Ausdruck der ursprünglichen Essenz, jenseits von konditionierter Prägung, Rasse und Religion. Es ist ein Weg zu mehr Akzeptanz, Wertfreiheit, Annahme des eigenen Selbst sowie jenes von allen anderen. Tantra dient der Freude, dem Gefühl für mehr Liebe und der Verbundenheit mit dem grossen Ganzen.
Alle Wege, die diesem Zweck dienen, beinhalten für mich Tantra. Aus diesem Grund schliesst für mich Tantra die Sexualität nicht aus, sondern ehrt diese sowie den gesamten Menschen als sexuelles, spirituelles Wesen. Tantra ist ein kontinuierlicher Weg den Körper als Tempel seines Selbst zu verstehen, ihn zu ehren und die sexuelle Energie als etwas Heiliges zu verstehen. Mit einem Partner oder Partnerin bewusst gelebt, kann die sexuelle Energie in Liebe und Verbundenheit zum Ganzen transformiert werden.
Was für eine Rolle spielt nun in diesem Zusammenhang die Tantra Massage und wo liegt die Gemeinsamkeit zum Tantra?
Die Tantra Massage wird ziellos und daher absichtslos gegeben ohne jeglichen Leistungsdruck. Wir achten in der Berührung auf Entspannung, Atmung, bewusstes Ausstreichen der Energie vom sexuellen Energiezentrum zum Herzen hin und geben Anleitungen, wie diese sexuelle Energie durch die Chakren hochgelenkt und frei fliessen kann, zum Beispiel durch angeleitete Atmung, Bewegung und Stimme. Dies kann die sexuelle Energie in transzendente Erfahrungen verwandeln und ein Gefühl der Verbundenheit mit Allem vermitteln. Durch Präsenz, Ziellosigkeit und Langsamkeit in der Berührung kann die Tantra Massage als Meditation erfahrbar werden und der Verstand kann zur Ruhe kommen. Dies unterstützt wiederum das Gefühl des inneren Friedens und der Ganzheit. Dies entspricht dem tantrischen Geist und vereint in einem wunderschönen und feierlichen Ritual Sexualität und Spiritualität.
Was dieses Ritual zur Heilung eines jeden Wesens beiträgt erübrigt sich noch weiter zu erläutern. In diesem Sinne gehört für mich Tantra und Tantra Massage zusammen, als ein möglicher Weg zur Ganzheit.
Ob man Tantra Massagen nur in der Paarbeziehung pflegen soll, oder ob man Tantra Massagen mit verschiedenen Partnern erleben möchte oder ob man sogar den Weg als Tantramasseur*in einschlagen will, liegt in der Verantwortung und Betrachtungsweise jedes einzelnen Menschen.
Für mich bedeutet Tantra allen Themen des Menschseins, einschliesslich der Sexualität, mit Wertschätzung zu begegnen. Es ist ein Weg ohne Ideale zu haben, wie du sein solltest, oder Konzepte, die dich weg bringen von dem was eigentlich hier ist. Tantra ist ein direkter Weg der dich einlädt, dich zu spüren, unmittelbar mit deinem Herzen und dessen freien Ausdruck verbunden zu sein.